Ich selbst habe die Kleine Brennnessel, ihr wissenschaftlicher Name ist Urtica urens, noch nie in der Natur gesehen. Und genau das macht sie so spannend: Diese kleine, einjährige Pflanze ist in Mitteleuropa selten geworden. Eine Freundin hat sie in Polen entdeckt und mir Fotos geschickt – und ich war sofort fasziniert. Ihre Blätter, dichter mit Brennhaaren besetzt als bei der Großen Brennnessel, glänzten im Licht fast wie Glasnadeln.

Die kleine Brennessel im Vergleich zur großen Brennessel
Die Kleine Brennnessel sieht der Großen auf den ersten Blick sehr ähnlich. Im Unterschied zur großen Brennessel bleibt sie aber niedriger und wirkt zarter. Ihre Blätter sind rundlicher, der Blattrand gröber gesägt, die Brennhaare feiner und zahlreicher als bei der großen Brennessel.
Sie ist einhäusig, das heißt, männliche und weibliche Blüten wachsen auf derselben Pflanze – im Gegensatz zur Großen Brennnessel, die zweihäusig ist.
Das klingt nach einem botanischen Detail, ist aber wichtig: Es gibt nämlich keine „männlichen“ oder „weiblichen“ Brennnesselsamen. Samen entstehen nur an weiblichen Blüten – bei der Kleinen Brennnessel also auf derselben Pflanze, bei der Großen nur auf den weiblichen Exemplaren. Falls du mehr über das sogenannte Superfood Brennesselsamen lernen möchtest bist du hier genau richtig:

Chemie im Kleinen – die Brennflüssigkeit
Was mich besonders überrascht hat, war die Dichte der Brennhaare auf den Blättern. Diese winzigen Gebilde sind im Grunde kleine Injektoren mit Sollbruchstelle:
Ein einzelliger Schlauch aus Kieselsäure, der beim Berühren bricht und seine Flüssigkeit in die Haut spritzt. Sie enthält Ameisensäure, Histamin, Acetylcholin und Serotonin – eine Mischung, die Schmerz, Jucken und Wärme verursacht, aber auch die Durchblutung anregt.
Bei der Kleinen Brennnessel scheint diese Reaktion oft kürzer, aber intensiver zu sein. Vielleicht, weil die feinen Brennhaare dichter stehen und die Haut punktueller reizen. Sie brennt – aber sie klingt schneller ab.
Dort findest du die kleine Brennessel
Die Kleine Brennnessel wächst dort, wo der Boden nährstoffreich, aber nicht dauerhaft bewachsen ist – in Gärten, an Feldrändern oder bei Viehställen. Sie liebt die Wärme und mag keine Konkurrenz. Deshalb verschwindet sie, sobald andere Pflanzen die Fläche übernehmen. In vielen Regionen Mitteleuropas ist sie deshalb kaum mehr zu finden.
Früher galt sie als Gemüse und Heilpflanze, heute ist sie botanisch fast vergessen. Dabei enthält sie dieselben wertvollen Inhaltsstoffe wie ihre große Schwester: Mineralstoffe, Eisen, Kalzium, Magnesium, Kieselsäure und Flavonoide.
Leise Kraft die kleine Brennessel
Vielleicht ist es genau das, was die kleine Brennnessel ausmacht: Sie ist klein, unscheinbar, leicht zu übersehen – und doch steckt in ihr eine enorme Energie. Sie brennt kürzer, aber heftiger. Sie wächst nur dort, wo Platz entsteht. Und sie zeigt, dass Kraft nicht immer Größe braucht.
Wer sie entdeckt, darf sich glücklich schätzen. Lass sie stehen, beobachte sie im Gegenlicht, und du wirst sehen, wie die feinen Brennhaare im Sonnenlicht glitzern.

Verwendung der kleinen Brennnessel– klein, aber wirksam
In der Volksheilkunde wurde die Kleine Brennnessel ähnlich genutzt wie ihre große Verwandte. Sie enthält dieselben Wirkstoffe – Mineralstoffe, Flavonoide und Kieselsäure – nur in geringerer Blattmasse. Daher spielte sie in der Küche und Hausmedizin eine bescheidenere Rolle, war aber keineswegs unbekannt.
Auch ihre jungen Blätter eignen sich für eine kräftig-grüne Brennnesselsuppe oder als Wildgemüse, ihr Geschmack ist etwas schärfer. Die Samen können ebenso verwendet werden wie jene der Großen Brennnessel – sie liefern wertvolle Fettsäuren und pflanzliches Eiweiß, das als nährende Kraftquelle galt.
Antioxidativ und antibakteriell – die Wirkstoffe der Kleinen Brennnessel
Forscher:innen haben die Blätter der Kleinen Brennnessel untersucht und festgestellt, dass sie viele wertvolle Pflanzenstoffe enthalten – besonders Polyphenole, Flavonoide und Gerbstoffe. Diese Stoffe schützen unsere Zellen vor freien Radikalen und wirken leicht antibakteriell.
Am wirksamsten waren Auszüge mit Alkohol, also ähnlich wie bei einer Tinktur. Mit Wasser allein konnten die Forscher deutlich weniger dieser Stoffe lösen. Das erklärt, warum alkoholische Auszüge oft stärker wirken als Tees.
Auch wenn sie klein ist: Die Kleine Brennnessel hat in den Labortests gezeigt, dass sie eine erstaunliche Kraft besitzt – sie kann freie Radikale neutralisieren und bestimmte Bakterien hemmen.
Quelle: Mzid M, Ben Khedir S, Ben Salem M, Regaieg W, Rebai T. Antioxidant and antimicrobial activities of ethanol and aqueous extracts from Urtica urens. Pharm Biol. 2017 Dec;55(1):775-781. doi: 10.1080/13880209.2016.1275025. PMID: 28084125; PMCID: PMC6130501.
Link zur Studie: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28084125/